Zertifikate
Zertifikate erlangten unrühmliche Bekanntheit im Jahr 2008 durch die Insolvenz der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers. Deren niederländische Tochtergesellschaft begab auf dem deutschen Markt zahlreiche verschieden strukturierte Zertifikate, die im Rahmen der Insolvenz des Lehman Brothers Konzerns nahezu wertlos wurden. Die Anleger werden nur die Insolvenzquote erhalten, deren exakte Höhe bisher noch nicht festgestellt wurde. Aber auch Zertifikate anderer Emittenten bergen zum Teil gefährliche Risiken für das investierte Kapital.
Was sind Zertifikate?
Ein Zertifikat ist ein derivates Finanzprodukt, das als Wertpapier regelmäßig an der Börse gehandelt wird. Derivat heißt, dass das Wertpapier seinen Preis aus dem Wert anderer Vermögenswerte ableitet, z.B. aus Aktien oder Aktienindizes, wie etwa dem DAX. Dieser Wert wird Basiswert genannt. Es gibt Zertifikate, die lediglich genau diesen Wert nachzeichnen, bei anderen Zertifikaten kommen spezielle Sonderfunktionen hinzu, die das Risiko minimieren oder die Rendite steigern sollen. Dabei gibt es zahlreiche Varianten und Kombinationen (einige Beispiele finden Sie in unserem Glossar).
Hat sich der Anleger für ein Zertifikat entschieden, zahlt er dem Emittenten einen Geldbetrag, den der Emittent zu den jeweils vereinbarten Regeln zurückzuzahlen hat. Der Tilgungs- oder Rückzahlungsbetrag kann dabei stark von dem ursprünglich gezahlten Betrag abweichen. Der Inhaber eines Zertifikats, dessen Wert sich nach dem Wert einer Aktie richtet, wird selbst nicht Aktionär, sondern erhält einen Zahlungsanspruch gegen den Emittenten!
Rechtlich handelt es bei Zertifikaten sich um eine sog. Inhaberschuldverschreibung i.S.d. § 793 BGB. Der Inhaber des Zertifikats ist demnach Gläubiger des Emittenten. Das bedeutet auch, dass der Anleger das Emittentenrisiko trägt: Bei Insolvenz des Emittenten droht ihm der Totalverlust seiner Anlage, weshalb die Kreditwürdigkeit des Emittenten bei dieser Anlageform von besonderer Bedeutung ist.
Anleger- und anlagegerechte Beratung
Ob Schadensersatzansprüche gegen die beratende Bank bestehen, richtet sich in erster Linie danach, ob eine anleger- und anlagegerechte Beratung stattgefunden hat. Der Anleger ist auf alle Umstände hinzuweisen, die für seine Kaufentscheidung von wesentlicher Bedeutung sein können. Es kann je nach Typ des Zertifikats insbesondere aufzuklären sein über
- das Insolvenzrisiko der emittierenden und ggf. der garantierenden Bank,
- die fehlende Einlagensicherung,
- das sich ggf. aus der Struktur des Zertifikates ergebende Totalverlustrisiko,
- die Laufzeit, das Marktpreisrisiko und die ggf. mangelnde Fungibilität,
- Besonderheiten bei den Kündigungsvoraussetzungen für die Emittentin einerseits und für den Anleger andererseits. Auch hieraus kann bei manchen Zertifikaten das Risiko eines Totalverlustes resultieren, wenn sich der vorzeitige Rückzahlungsbetrag z.B. an einem marktgerechten Preis orientiert, von dem Abzüge vorzunehmen sind und dessen konkrete Berechnung im Ermessen einer Berechnungsstelle liegt.
Der genaue Inhalt und Umfang der Informationspflichten ist von Fall zu Fall verschieden. Letztlich darf die Bank dem Anleger nur eine Anlage empfehlen, die seinen Wünschen und Interessen entspricht (z.B. ein Festgeldkonto für einen sehr sicherheitsorientierten Anleger). Bei Empfehlungen, die grundsätzlich nicht zum Anlegerprofil passen, muss die Bank auf das höhere Risiko hinweisen.
Erleidet der Anleger durch die nachweisbar fehlerhafte Beratung einen Schaden (verliert z.B. der konservative Anleger sein gesamtes, auf Empfehlung der Bank in eine einzige, äußerst riskante Anlage investiertes Vermögen), hat die Bank für ihr Verschulden einzustehen und den entstandenen Schaden zu ersetzen.
Kick-Backs und ähnliche Interessenskonflikte
Bei Zertifikaten fließen Rückvergütungen, besser bekannt als „Kick-Backs“, eher selten. Stattdessen erhält die beratende Bank für den erfolgreichen Abschluss des von ihr empfohlenen Geschäfts meist Provisionen oder eine Gewinnmarge. Nicht selten werden unterschiedliche Vergütungsarten auch miteinander kombiniert. Während die Rechtsprechung des BGH zu Rückvergütungen eindeutig ist, ist die Frage der Aufklärungspflicht hinsichtlich Provisionen zum Teil umstritten.
Hinsichtlich der im Festpreisgeschäft vereinnahmten Gewinnmargen verneint ein überwiegender Teil der Rechtsprechung bisher die Aufklärungspflicht. Ob die Aufklärungspflicht hinsichtlich im Festpreisgeschäft vertriebener hausfremder Produkte besteht oder nicht, ist indes höchstrichterlich noch nicht geklärt. Anders als bei hauseigenen Produkten liegt die Gewinnerzielungsabsicht hier nicht auf der Hand.
Der Interessenkonflikt, in dem sich die beratende Bank befindet, besteht dabei unabhängig von der rechtlichen Vergütungsform – sie soll einerseits nur im Interesse des Anlegers beraten, erhält aber andererseits einen Vorteil aus dem Vertrieb des Zertifikats. Nur bei Kenntnis über die konkrete Höhe dieses Vorteils ist der Anleger dazu in der Lage abzuschätzen, welches Interesse in seinem Fall schwerer wiegen mag und kann vor diesem Hintergrund eine eigenverantwortliche Anlageentscheidung treffen.